Für deutsche Unternehmer, die in den Niederlanden geschäftlich tätig sind, ist es von großer Bedeutung, das WHOA-Gesetz und dessen Anwendung auf ihre Geschäftstätigkeit zu verstehen, um in Krisenzeiten effektive und rechtssichere Möglichkeiten der Umstrukturierung nutzen zu können.
Seit Januar 2021 bietet das niederländische Gesetz über private Zwangsvergleiche (Wet Homologatie Onderhands Akkoord – WHOA) Unternehmen eine wichtige Möglichkeit, Restrukturierungs- und Sanierungsverfahren außerhalb eines Konkurses effektiv umzusetzen.
Das Gesetz ermöglicht Unternehmen, die sich in finanziellen Schwierigkeiten befinden, eine Umstrukturierung durchzuführen, ohne den Weg des Konkurses gehen zu müssen. Ein zentraler Aspekt dieses Verfahrens ist die Einbeziehung und Verpflichtung von Gläubigern sowie anderen beteiligten Parteien, wie Aktionären, zur Mitwirkung an einem privaten Zwangsvergleich.
Das Ziel des WHOA-Gesetzes besteht darin, die möglichen Auswirkungen einer Insolvenz mit den Vorteilen einer Sanierung durch das WHOA abzuwägen, um den Beteiligten wie Gläubigern und Aktionären eine fundierte Entscheidungsgrundlage zu bieten.
Generell sollte davon ausgegangen werden, dass außerhalb des Konkurses oft ein viel höherer Sanierungswert erzielt werden kann als bei einem Vergleich im Konkurs. Somit profitieren auch die Gläubiger davon. Das WHOA-Gesetz kann Unternehmen, die aus eigener Kraft rentabel sind, bei der Restrukturierung ihrer Schulden helfen.
Eine wesentliche Voraussetzung für die Anwendung des niederländischen WHOA-Gesetzes ist der Nachweis, dass der Schuldner voraussichtlich nicht mehr in der Lage sein wird, seine Schulden zu begleichen (gemäß Art. 370 Abs. 1 Fw). Dies umfasst Situationen, in denen ein Schuldner zwar derzeit seinen finanziellen Verpflichtungen nachkommen kann, jedoch keine tragfähige Zukunftsperspektive für das Unternehmen besteht. In solchen Fällen ermöglicht das WHOA-Verfahren eine proaktive Sanierung, um einer Verschlechterung der finanziellen Lage vorzubeugen.
Das WHOA-Sanierungsverfahren in den Niederlanden beginnt mit der Abgabe einer Eröffnungserklärung gemäß Anlage 1 zur WHOA-Verfahrensordnung. Verschiedene Parteien wie Schuldnern, Gläubigern, Anteilseignern, Betriebsräten oder Arbeitnehmervertretungen können dieses Verfahren für einen spezifischen Schuldner einleiten.
Ein wesentliches Merkmal dieses Verfahrens ist, dass die beteiligten Parteien keinen direkten Vergleich anbieten können. Es ist notwendig, einen Antrag beim Gericht einzureichen, um die Bestellung eines Sanierungsgutachters gemäß Art. 371 Abs. 1 FW zu beantragen.
Im Rahmen des WHOA-Sanierungsverfahrens in den Niederlanden können der Schuldner sowie andere Beteiligte wie Gläubiger, Anteilseigner oder Arbeitnehmervertretungen die Bestellung eines Sanierungsgutachters beim Gericht beantragen.
Dieser Schritt wird oft unternommen, um den Anschein von Interessenkonflikten zu vermeiden und das Vertrauen der Gläubiger in die Tragfähigkeit und Seriosität des vorgeschlagenen Vergleichs zu stärken. Ein Sanierungsgutachter bietet eine neutrale und fachkundige Grundlage für die Ausarbeitung eines Vergleichs. In den meisten Fällen wird das Gericht einem solchen Antrag stattgeben.
Gleichzeitig mit der Einreichung des Antrags (startverklaring) kann ein Antrag auf Anordnung einer Bedenkzeit gestellt werden. Dadurch erhält das Unternehmen Zeit, sich zu erholen und einen Vergleich durchzusetzen, ohne dass einzelne Gläubiger auf das Vermögen des Schuldners zurückgreifen können. Die Bedenkzeit kann auch die Aussetzung eines Zahlungsaufschubs, eines Konkursantrags und die Aufhebung der gegen den Schuldner gerichteten Pfändungen umfassen.
Im Rahmen des niederländischen WHOA-Verfahrens haben Schuldner eine hohe Flexibilität bei der Erstellung des vorgelegten Vergleichs. Dieser muss sich nicht ausschließlich auf die Zahlung eines bestimmten Geldbetrags an die Gläubiger beschränken.
Vielmehr kann der Vergleich auch Maßnahmen wie die Änderung bestehender Verträge oder die Umwandlung eines Teils der Schulden in Aktienkapital umfassen. Durch das Angebot eines Vergleichs können sich die Rechte der Gläubiger und/oder der Aktionäre ändern.
Die WHOA-Gesetzgebung in den Niederlanden hat bedeutende Auswirkungen auf die Restrukturierung von Unternehmen. Um eine effektive Anbindung von Gläubigern und Aktionären an einen Vergleich zu gewährleisten, wurden im WHOA spezielle Instrumente implementiert.
Ein solches Instrument ist die Möglichkeit, die Rechte der Aktionäre einzuschränken. Dies wird durch die Regelung ausgedrückt, dass Beschlüsse der Hauptversammlung zur Ausgabe neuer Aktien für unwirksam erklärt werden können (Art. 370 Abs. 5 Fw).
Diese Regelung ermöglicht es, einen Vergleich auch gegen den Willen der Aktionäre durchzusetzen. Sie bietet beispielsweise eine Lösung für Szenarien, in denen Schulden in Eigenkapital umgewandelt werden sollen (sogenannter “Debt-for-Equity-Swap”).
In diesem Kontext kann auch das gesetzliche Vorkaufsrecht der Altaktionäre bei der Ausgabe neuer Aktien eingeschränkt werden gemäß Artikel 370 Absatz 5 Fw. Dadurch wird sichergestellt, dass Altaktionäre einer solchen Maßnahme grundsätzlich nicht entgegenwirken können.
Das WHOA-Gesetz erlaubt die Bildung verschiedener Gläubigerklassen. Die Begründung für jede Klasseneinteilung ist entscheidend. Bei der gerichtlichen Überprüfung des Vergleichs wird auch diese Einteilung begutachtet. Ohne eine gerechtfertigte Klassifizierung kann der Antrag auf Genehmigung abgelehnt werden.
Das WHOA-Gesetz ermöglicht es, im Vorfeld eine gerichtliche Stellungnahme zur Klasseneinteilung einzuholen, was bei der späteren Homologierung hilfreich sein kann. Diese Flexibilität ermöglicht es dem Schuldner, die Gläubiger strategisch zu priorisieren und unterschiedliche Vorschläge für jede Klasse zu unterbreiten, über die separat abgestimmt wird.
Im Rahmen des WHOA-Vergleichs müssen die Gläubiger von KMU grundsätzlich mindestens 20 % ihrer Forderungen erhalten. Eine Sonderregelung tritt in Kraft, wenn diese Quote nicht erreicht wird (gemäß Art. 374 Abs. 2 des BW).
Ein Gläubiger gilt als KMU-Gläubiger, wenn er (1) unter die KMU-Definition gemäß Artikel 2:395a und 2:396 BW fällt, was auf kleine Unternehmen, Selbstständige und Einzelunternehmen mit weniger als 50 Beschäftigten zutrifft, (2) eine Forderung für gelieferte Waren oder Dienstleistungen oder aus unerlaubter Handlung hat und (3) im Vergleich weniger als 20% seiner Forderungen angeboten bekommt.
In diesen Fällen müssen diese Gläubiger in einer oder mehreren gesonderten Klassen zusammengefasst werden. Dies hat zur Folge, dass die Gläubiger der KMU getrennt von den anderen Gläubigern und Anteilseignern abstimmen können. Sie können sich auf die Gründe für die Verweigerung der Zustimmung berufen, wenn sie dies wünschen (im Falle einer negativen Abstimmung).
Gläubiger, die ein Pfandrecht oder eine Hypothek besitzen, müssen ebenfalls in dieselbe Klasse eingestuft werden. Das WHOA-Gesetz legt fest, welche Informationen den stimmberechtigten Gläubigern und Aktionären vor der Abstimmung zur Verfügung gestellt werden müssen, damit sie ausreichend informiert sind.
Der anzubietende Vergleich umfasst eine Aufstellung aller Einnahmen und Ausgaben, Informationen zur finanziellen Lage des Schuldners, eine Beschreibung der Ursache der finanziellen Probleme, Restrukturierungsmaßnahmen und eine Auskunft darüber, wie der Vergleich zur Lösung beitragen kann.
Eine Änderung der Rechte von Arbeitnehmern aus einem Arbeitsvertrag ist nicht möglich. Dies bedeutet, dass das WHOA-Verfahren keine Anwendung auf Arbeitnehmer und ihre Arbeitsverträge findet.
Die WHOA-Gesetzgebung kann auch erhebliche Auswirkungen auf lang- oder kurzfristige Vereinbarungen haben. Wenn eine Partei Änderungen oder eine Kündigung eines Vertrags vorschlägt, den der Schuldner eingegangen ist, kann die betroffene Partei dies ablehnen. In einem solchen Fall ist es möglich, das Gericht um Erlaubnis zu bitten, den Vertrag einseitig zu kündigen, unabhängig von den Bestimmungen des Vertrags selbst.
Das bedeutet, dass auch Verträge, die eigentlich nicht vorzeitig kündbar sind, vorzeitig beendet werden können. Der Anspruch auf Entschädigung, der der anderen Partei nach einer solchen Beendigung zusteht, kann vom Schuldner in den Vergleich miteinbezogen werden.
Bei der Feststellung des Abstimmungsergebnisses im Rahmen des WHOA-Verfahrens werden ausschließlich die abgegebenen Stimmen berücksichtigt. Nicht abstimmende Gläubiger werden nicht berücksichtigt. Für einen Vergleich ist es notwendig, dass innerhalb einer bestimmten Gruppe von Gläubigern Gläubiger, die zusammen mindestens zwei Drittel des Gesamtbetrags der Forderungen ausmachen, zustimmen.
Ein angenommener Vergleich kann dem Gericht zur Genehmigung vorgelegt werden, wenn mindestens eine Gruppe von Gläubigern dem Vergleich zugestimmt hat. Dies wird als ‘cross-class cram down’ bezeichnet.
Wie bereits erwähnt, kann der Schuldner, der mehrere Gläubigerklassen gebildet hat, die Homologierung beantragen, sobald mindestens eine Klasse dem Vergleich zugestimmt hat. Die Zustimmung der Gläubiger einer Klasse (2/3-Mehrheit) kann dazu führen, dass alle anderen Gläubiger der anderen Gläubigerklassen durch die Homologierung an den vorgelegten Vergleich gebunden sind. Voraussetzung dafür ist, dass die betreffenden Gläubiger im Konkurs ganz oder zumindest teilweise befriedigt werden können.
Mit anderen Worten, die betreffende Gruppe muss tatsächlich ‘im Geld’ sein, was dann der Fall ist, wenn sie auch bei einer Liquidation im Konkurs ganz oder teilweise befriedigt würde. Bei der (strategischen) Klasseneinteilung muss auch die Möglichkeit eines ‘cross-class cram down’ berücksichtigt werden.
Nach der Abstimmung wird in der Regel ein Antrag auf Homologierung gestellt. Grundsätzlich gilt, dass ein genehmigter Vergleich auch ratifiziert wird, es sei denn, es liegt ein allgemeiner Ablehnungsgrund oder ein besonderer Ablehnungsgrund vor. Die Wirkung eines genehmigten Vergleichs besteht darin, dass der Vertrag für den Schuldner und alle stimmberechtigten Gläubiger verbindlich ist.
Der Vergleich wirkt auch gegen einen stimmberechtigten Gläubiger, der keine Stimme abgegeben hat. Ein homologierter Vergleich kann nicht annulliert oder aufgelöst werden.
In den Niederlanden ermöglicht das WHOA-Verfahren Unternehmen nicht nur eine Umschuldung, sondern auch eine kontrollierte Beendigung der Geschäftstätigkeit und die Liquidation des Unternehmens. Erfüllt ein Unternehmen die Voraussetzungen für die Anwendung des WHOA, kann es dieses Verfahren auch nutzen, um die Geschäftstätigkeit außerhalb eines Konkurses zu beenden. Dadurch kann es einen Konkursverwalter umgehen und einer eventuellen Restschuld entgehen.
Das WHOA-Gesetz bietet in den Niederlanden Geldgebern mehr Sicherheit bei der Durchführung von Rettungsaktionen. Es ist festgelegt, dass Finanzierungen mit Sicherheiten und gerichtlicher Genehmigung nicht als nichtig wegen Gläubigerbenachteiligung angesehen werden.
Dies erhöht die Bereitschaft von Finanziers, zusätzliche Finanzierungen unter Anwendung des WHOA-Verfahrens bereitzustellen, ohne die Sorge vor einem möglichen Nachfolgetreuhänder. Zudem schafft das Gesetz Klarheit hinsichtlich der Aufrechnung. Es bestimmt, dass die Aufrechnung im Rahmen der WHOA-Finanzierung (Finanzierung der Unternehmensfortführung) gutgläubig ist und nicht beeinträchtigt werden kann.
Haben Sie Fragen zum niederländischen Insolvenzrecht und benötigen eine deutschsprachige Rechtsberatung? Dann nehmen Sie gerne Kontakt mit unserem deutschsprachigen Anwalt Onno Hennis, Telefon +31 20 308 03 15.