Zum 1. Januar 2021 ist das Wet Homologatie Onderhands Akkoord (WHOA), das niederländische Gesetz über die Homologierung eines außergerichtlichen Vergleichs, in Kraft getreten. Das WHOA hat das Ziel, Unternehmen, die in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind, zu restrukturieren, indem Gläubiger (und sonstige Stakeholder) verpflichtet werden, an einem außergerichtlichen Zwangsvergleich mitzuwirken. Inzwischen hat sowohl die Rechtbank Den Haag als auch die Rechtbank Amsterdam ein Urteil auf Basis des WHOA gesprochen. Darin wurde das WHOA für anwendbar erklärt – mit der Folge, dass der
Schuldner
Derjenige, der an jemanden eine Verbindlichkeit erfüllen muss (Schuldner).
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Schuldner versuchen kann, einen Vergleich außerhalb eines Insolvenzverfahrens zu erzwingen. Am Ende des Verfahrens steht die Homologierung (oder auch nicht) durch die Rechtbank. Durch diese Anerkennung sind alle betroffenen Gläubiger (und sonstigen Stakeholder) an den Vergleich gebunden. In diesem Blog erläutert Marco Guit das Urteil der Rechtbank Amsterdam.
Mit dem WHOA soll Unternehmen, die in eine kritische Lage geraten sind, eine Möglichkeit zur Restrukturierung geboten werden, ohne deren Insolvenz feststellen zu müssen. Anknüpfungspunkt sind das amerikanische Chapter 11-Verfahren und das englische Scheme of arrangement-Verfahren. Der Gedanke dahinter: Das niederländische Recht kennt eine solche Regelung nicht, so dass es Unternehmen in der Praxis grundsätzlich an Restrukturierungsvermögen fehlt, was wiederum Einfluss darauf hat, ob sich (große) Unternehmen in den Niederlanden niederlassen wollen.
Auch von Europa aus werden die Mitgliedstaaten inzwischen angespornt, geeignete Restrukturierungsvorschriften auf Basis der Richtlinie 2019/1023 zu erlassen. Das WHOA lag bereits im Entwurf vor, als diese EU-Richtlinie zustande kam, steht allerdings größtenteils mit der Richtlinie im Einklang. Der Schuldner genießt eine große Freiheit und kann selbst entscheiden, wie das Vergleichsverfahren nach dem WHOA ausgestaltet wird, und somit auch, wem (welchen Gläubigern) der Vergleich angeboten wird. Mit anderen Worten: Der Vergleich gilt nur für diejenigen Gläubiger, deren Rechte durch den Vergleich berührt werden. Gläubiger können dabei in verschiedenen Klassen zusammengefasst werden.
Ein gebilligter (homologierter) Vergleich nach dem WHOA bindet grundsätzlich die betroffenen Gläubiger, und im Fokus steht vor allem das Reorganisationsvermögen im Falle der Anwendung des WHOA im Vergleich zu dem Szenario, dass eine Insolvenz festgestellt wird. Zu den Voraussetzungen für die Zulassung zum WHOA gehört, dass der Schuldner in eine Situation gerät, in der er nach vertretbarer Betrachtung voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, weiterhin seine Verbindlichkeiten zu bedienen. Dies läuft faktisch darauf hinaus, dass der Schuldner zwar durchaus noch in der Lage ist, laufende Verpflichtungen zu erfüllen, gleichzeitig aber erkennt, dass es für ihn keine realistische Perspektive gibt, ohne eine Restrukturierung ein Insolvenzverfahren zu vermeiden. Das WHOA ist ein einschneidendes Instrument und kann unter Umständen sogar zur Folge haben, dass langjährige
Vertrag
Die Urkunde, worin ein Vertrag zwischen den Parteien begründet wird. In weiterem Sinn wird damit auch der Vertrag selbst bezeichnet.
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Verträge geändert werden. Der Vertragspartner des Schuldners erwirbt daraufhin einen Schadenersatzanspruch, der jedoch im Vergleich mit saniert wird; damit wird der Schuldner von dem langjährigen
Vertrag
Die Urkunde, worin ein Vertrag zwischen den Parteien begründet wird. In weiterem Sinn wird damit auch der Vertrag selbst bezeichnet.
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Vertrag entbunden.
Wie bereits zuvor ausgeführt, steht es dem Schuldner frei, Gläubiger in verschiedene Klassen einzuteilen, wobei die Bestätigung des Vergleichs (Homologierung) voraussetzt, dass mindestens eine Gläubigerklasse zugestimmt hat. Daher kann es eine Überlegung wert sein, verschiedene Gläubigerklassen zu bilden, um die Chance zu erhöhen, dass mindestens eine dieser Klassen dem Vergleich zustimmt. Bei der Zählung der Stimmen werden die tatsächlich abgegebenen Stimmen berücksichtigt. Erfolgt keine Stimmabgabe, haben die betreffenden (nicht abstimmenden) Gläubiger keinen Einfluss auf das Abstimmungsergebnis und leisten sie somit keinen Beitrag zu der (erforderlichen) Zweidrittelmehrheit des Gesamtbetrags an Forderungen in der betreffenden Gläubigerklasse. Die Zweidrittelmehrheit wird also anhand der tatsächlich abgegebenen Stimmen ermittelt.
Die Rechtbank kann den Homologierungsantrag letztendlich aus allgemeinen Abweisungsgründen oder ergänzenden Abweisungsgründen, auf die sich die Gläubiger berufen müssen, abweisen. Ein Beispiel für die letztgenannte Kategorie von Abweisungsgründen ist unter anderem der Fall, dass die Position von (gegen die Homologierung stimmenden) Gläubigern und Anteilseignern durch den Vergleich erheblich schlechter wäre als im Falle einer Insolvenz.
Der Antrag wurde von einer Gesellschaft gestellt, die in der Pflege tätig ist. Bemerkenswert ist der Umstand, dass diese Gesellschaft (Schuldner) keine Aktivitäten mehr ausübt und dennoch einige Einkünfte in Aussicht hat, so dass der Antrag so gesehen nicht auf eine Restrukturierung going concern gerichtet ist. Man sollte annehmen, dass sich auf das WHOA vor allem solche Unternehmen berufen, die nach der Schuldensanierung fortbestehen. In diesem Fall aber ist das anders. Die Rechtbank sieht in der Antragsbegründung hinreichende Anknüpfungspunkte, um den Anwendungsbereich des WHOA auch für Unternehmen ohne Überlebenschancen – im Rahmen der Einstellung ihrer Aktivitäten – zu öffnen.
Zeitgleich mit Einreichen des Antrags wurde eine Karenzzeit beantragt. Die Karenzzeit soll verhindern, dass sich einzelne Gläubiger an Vermögensbestandteilen des Schuldners schadlos halten. Hinsichtlich der Karenzzeit weist die Rechtbank darauf hin, dass das Parlament im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens sicherlich nicht den Fall vor Augen hatte, dass beim Anbieten eines Vergleichs im Rahmen der Abwicklung eines Betriebs ebenfalls eine Karenzzeit notwendig sein kann. Angesichts des Zwecks des WHOA im Allgemeinen jedoch hält die Rechtbank eine Karenzzeit durchaus auch dann für möglich, wenn das Unternehmen nach der Restrukturierung nicht fortgeführt wird. Die Karenzzeit auf Grundlage des WHOA beträgt maximal vier Monate (Art. 376 Fw (niederländische Insolvenzordnung).
Am 4. Januar 2021 hat der Antragsteller eine sogenannte Starterklärung eingereicht. Diese hat den Zweck, das WHOA-Verfahren in Gang zu setzen. Wie bereits ausgeführt, hat die Rechtbank geurteilt, dass das WHOA auch für die Homologierung eines Vergleichs offensteht, bei dem ein Unternehmen (wie das Unternehmen des Schuldners) zwar keine Überlebenschancen mehr hat, aber dennoch nach dem WHOA abgewickelt wird. Nach Auffassung der Rechtbank besteht diese Möglichkeit, wenn mit einer kontrollierten Abwicklung des Betriebs durch einen Vergleich ohne Insolvenz ein besseres Ergebnis erreicht wird als im Falle einer Abwicklung im Wege einer Insolvenz.
Forderungen (und sonstige Rechte) von Arbeitnehmern fallen nicht in den Anwendungsbereich des WHOA und können daher nicht saniert werden (Art. 369 Absatz 4 Fw). In dieser Hinsicht wird allerdings betrachtet, wie die Arbeitnehmer im Vergleich zum Falle einer Insolvenz dastehen. Die Rechtbank folgt den Ausführungen der Beteiligten, die Arbeitnehmer würden von einer Insolvenz profitieren, nicht, da zu jenem Zeitpunkt die Lohngarantieregelung in Kraft tritt, so dass überfälliger Lohn gezahlt werden kann. Die Rechtbank stellt fest, dass nahezu alle Arbeitnehmer ihr Arbeitsverhältnis im Oktober 2020 gekündigt und bis zu diesem Zeitpunkt alle geschuldeten Zahlungen erhalten haben, so dass diese Interessen nicht wesentlich berührt werden.
Die Rechtbank gibt dem Antrag daher mit einer Karenzzeit von zwei Monaten statt und weist noch einmal ausdrücklich darauf hin, dass ein Antrag auf Bewilligung einer Zahlungsaussetzung, ein eigener Insolvenzantrag und ein durch einen Schuldner gestellter Insolvenzantrag während der Karenzzeit ruhen (folgt aus Art. 376 Absatz 2c Fw).
Die Rechtsanwälte von AMS haben außerdem viel Erfahrung mit dem Anbieten von Zwangsvergleichen bei Insolvenz oder Aussetzung und fokussieren sich seit Inkrafttreten des WHOA auch auf die Restrukturierung im Wege eines WHOA-Vergleichs. Auf den ersten Blick erscheint das WHOA als sehr sinnvolles Instrument für eine erfolgreiche Reorganisation.
Sollten Sie zu den obenstehenden Ausführungen Fragen haben oder eine Beratung wünschen, wenden Sie sich einfach an die Rechtsanwaltskanzlei AMS Advocaten.